Ablass usw.


Die Tempelreinigung – Matth 21,12ff par, Joh 2,13ff

Bekanntlich geht Jesus bei dieser Aktion rigoros und handgreiflich vor: gegen die Verkäufer und Käufer, Geldwechsler, gegen „die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben“ verkaufen. Was rechtfertigt diese Aktion? „Es steht geschrieben: ‚Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus“ (Matth 21,13); „macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“ (Joh 2,16).

Nun, es sind immerhin Opfertiere, die von den Händlern angeboten und von den Tempelbesuchern gekauft werden, Opfertiere, die nach den Vorschriften des göttlichen Gesetzes im Tempel gottesdienstlich dargebracht werden sollen. Und die Geldwechsler sorgen für die richtige Währung, die für den Erwerb der Opfertiere nötig ist (die Tempelwährung). Was soll daran falsch sein?

Aufschlussreich ist dafür Jeremia 7,1ff (die „Tempelrede“): Dort muss der Prophet im Namen Gottes dem Volk Israel ins Gewissen reden. Denn sie verüben allerlei himmelschreiendes Unrecht und suchen dann – sozusagen seelenruhig – den Tempel auf, um sich hier ihrer Geborgenheit in Gottes Haus zu versichern. „Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle?“ (7,11) Eine Räuberhöhle ist ein Ort, wohin sich Räuber zurückziehen und Sicherheit suchen. Israel missbraucht den Tempel, indem sie sich dort mitsamt dem ständig verübten Unrecht geborgen wissen wollen. Da macht Gott schon zu Jeremias Zeiten nicht mehr mit.

Im Fall der Tempelreinigung, die Jesus vornimmt und dabei das Wort von der „Räuberhöhle“ aus Jeremia zitiert, muss es um eine vergleichbare Thematik gehen. Es kann nur folgendes sein: Jesus erkennt in dem Verkauf und Kauf von Opfertieren einen Missbrauch des Opferdienstes und damit des Tempels in dem Sinn, dass sich Menschen hier gewissermaßen durch den Erwerb eines Opfertieres freikaufen und ihr Gewissen beruhigen, ohne sich betend Gott zu öffnen („mein Haus soll ein Bethaus sein“), ohne sich in echter Buße und Reue Gott zuzuwenden, seine Vergebung zu erbitten und sich von Gott ändern zu lassen. So machen sie in der Tat das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle bzw. zu einem Kaufhaus.

Exakt von dieser Art war auch der Missbrauch, der Martin Luther zu der Abfassung seiner 95 Thesen veranlasste: Der Ablasshandel gaukelte den Menschen vor, und sie ließen sich’s gerne weismachen, dass sie mit dem Erwerb von Ablassbriefen Straferlass bei der Kirche und ihrem Herrn erwirken, ja, ihre Seele in Sicherheit bringen könnten. Die Kirche war zum Kaufhaus entartet. Die Reformation Luthers liegt auf der Linie der Tempelreinigung Jesu. „Indem unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: ‚Tut Buße …’, wollte er, dass das ganze Leben der Christen nichts als Buße sein soll“ (1. These). „Menschenlehre predigen die, welche sagen, sobald die Münze in den Kasten falle und klinge, fahre die Seele alsbald aus dem Fegfeuer heraus“ (27. These). „Verdammt in Ewigkeit samt ihren Lehrmeistern werden die sein, die durch Ablassbriefe ihres Heils gewiss zu sein glauben“ (32. These). „Jeder Christ ohne Ausnahme, der wahrhaft Reue empfindet, hat völlige Vergebung von Strafe und Schuld, die ihm auch ohne Ablassbriefe gehört“ (36. These). „Und so sollen sie (die Christen) viel mehr ihr Vertrauen darauf setzen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als durch die Sicherheit eines (falschen) Friedens“ (95. These).

Anmerkung: Der Einrichtung von Kirchen-Cafés und Abhaltung von Ständerlingen in Kirchen zur Förderung der Kommunikation unter den Gottesdienstbesuchern im Anschluss an den Gottesdienst widerspricht die Perikope von der Tempelreinigung selbstverständlich nicht.

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