Deus absconditus


„Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach …“ – 1 Mose 32,25ff

War es ein lichtscheuer Wüstendämon, der Jakob anfiel? Lassen wir das einmal dahingestellt und nehmen die Dinge so, wie sie jetzt im Text gemeint sind: Es ist Gott selbst, mit dem Jakob auf unliebsame Weise zu tun bekommt.

Handelt es sich um eine späte Vergeltung für die anscheinend doch so fragwürdige, geradezu verwerfliche „Erschleichung“ des Erstgeburtssegens? Dafür gibt es im gesamten Text-Zusammenhang der Jakob-Überlieferung ab 1 Mose 25,19 an keiner Stelle eine Anhaltspunkt (s.o. „Gott und die Moral“). Moral-Kategorien solcher Art sind in der Jakobsgeschichte offensichtlich fehl am Platz.

Dann bleibt nur übrig, dass Gott sich hier gewissermaßen grundlos Jakob in den Weg stellt. Nicht nur das. Indem Gott bedrohlich und gewaltsam gegen Jakob vorgeht, setzt er sich in Widerspruch zu sich selbst, hat er doch eben diesem Jakob ohne jeden Vorbehalt alle denkbaren Segnungen zugesagt (28,13ff). Zu vergleichen: 2 Mose 4,24: „Und als Mose unterwegs in der Herberge war, kam ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten.“ Ähnlich wie in 1 Mose 32 handelt es sich um einen lebensbedrohlichen „Anschlag“ von Seiten Gottes auf einen Menschen, der gerade dabei ist, den ihm gegebenen Auftrag zu erfüllen. Auch hier setzt sich Gott zu sich selbst in Widerspruch.

Natürlich kann man sagen: Gott hat wegen der Sündhaftigkeit des Menschen immer Grund, sich gegen Menschen zu stellen und sie sogar zu vernichten. Aber das allein erklärt wohl diese unheimlichen Gottesbegegnungen, mit denen Jakob und auch Mose zu tun bekommt, nicht.

Es gibt dafür m.E. tatsächlich nur eine „Erklärung“: Es ist der „deus absconditus“ (Luther), der verborgene Gott, der hier in Erscheinung tritt; Gott, der aus unerfindlichen Gründen schrecklich und widersprüchlich handelt; Gott, der sich anschickt, eben den Menschen, die er erwählt, gesegnet und beauftragt hat, zum Verderben zu werden.

Was die Geschichte Jakobs am Jabbok lehrt: Gegen diesen Gott und seine Anschläge gilt es sich zu wehren; mit diesem Gott kann und darf gerungen werden. Und zwar unter Berufung auf den offenbaren Gott, auf den Gott, vor dem Menschen Gnade gefunden haben, der ihnen Heil und Segen zugesagt und sich an diese Zusagen gebunden hat. Wer diesen offenbaren Gott auf seiner Seite hat und ihn ins Feld führt im Kampf gegen den verborgenen Gott, der ist letztlich unüberwindlich, auch wenn er dabei Blessuren davonträgt (Vers 26). Ja, er kann sogar dem verborgenen Gott noch den Segen abzwingen. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (Vers 27).

Gott steht also in diesem Fall gegen Gott, der offenbare Gott gegen den verborgenen, und der offenbare Gott ist allemal stärker als der verborgene – Gott sei Dank. So muss der unheimliche Gegner den Jakob abschließend feierlich zum Gewinner in diesem scheinbar so ungleichen Kampf erklären: „… Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen“ (Vers 29).

Am Ende fragt Jakob den Gegner nach seinem Namen. Aber dieser – der verborgene Gott – bleibt ein unnennbares Phänomen, ein namenlos dunkles, um nicht zu sagen dämonisches Phänomen, das den Tag und das Licht nicht verträgt und sich bei Anbruch der Morgenröte verziehen muss (Verse 30 und 27).

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