Gefühle oder mehr?


„Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst …“ – 1 Joh 1,8

(Predigt) „… Von Sünde, von Schuld zu reden ist in unserer Gesellschaft nicht mehr modern, jedenfalls nicht so, dass alle darunterfallen, dass alle davon betroffen sind. Es gibt Ausnahmen: Umweltvergehen z.B. werden angemahnt und als Sünden bezeichnet. Machtmissbrauch ebenso. Und natürlich handgreifliche Verbrechen. Aber im übrigen ist man schnell dabei, von Schuldgefühlen anstatt von Schuld zu sprechen. Das begegnet uns auf Schritt und Tritt. Z.B. in Fernsehsendungen, wenn zwischenmenschliche Probleme behandelt werden. Schuld-Gefühle! Gefühle können täuschen. Gefühle können unberechtigt sein. Es kann sein, dass Schuldge­fühle nicht von wirklicher Schuld herkommen. Dann muss man den betreffenden Menschen therapeutisch helfen, diese Gefühle abzulegen, loszuwerden.

Diese Sicht kann je nach dem sogar zutreffen! Aber wird auf diese Weise nicht allzuoft versucht, tatsächliche Schuld wegzuin­terpretieren und wegzutherapieren? Und ist damit dann den betreffenden Menschen geholfen? Ist irgend einem Menschen damit geholfen, dass man die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nimmt? Kommt etwas anderes dabei heraus als Selbstbetrug? Kann es einem Menschen helfen, wenn er angeleitet wird, in der Lüge zu leben?

‚Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.’ Das ist nun aber nicht zu irgendwelchen Weltmenschen gesagt, die das Evangelium erst noch kennenlernen müssen, sondern zu Christen, zu Gemeinde­gliedern. Ja, was gilt in diesem Zusammenhang denn nun von den Christen? Wenn man sich, wie damals meistens, als Erwachsener für diesen Weg entschieden hat, wenn man feierlich getauft und damit reingewaschen, neugeboren wurde – ist man dann nicht auf eine höhere Stufe des Seins gelangt, wo Sünde kein Thema mehr ist? Das war damals die Sicht von einflussreichen Leuten, den sog. Gnostikern: eine höhere Stufe des Seins. Das gaben sie als das wahre Christentum aus und faszinierten damit viele. Und wenn dann doch jemand sich noch ein Gewissen machte wegen eines begangenen Unrechts, dann sagten diese Leute: Ach was, das betrifft doch nur dein leibliches, stoffliches Leben; dein eigentliches, geistiges Leben in der höheren Welt wird davon doch nicht mehr tangiert!

Auch wir heute müssen uns vor solchen gefährlichen Irrlehren hüten, die auf Einbildung, Selbstbetrug und Leben in der Lüge hinauslaufen. Unser Reformator Luther war es, der unter Beru­fung auf die Hl. Schrift ausdrücklich festgestellt hat: Wir Chris­ten sind zugleich Gerechte und Sünder, und das bleibt so unser Leben lang. Wir können uns zurecht als wiedergeborene Men­schen bezeichnen. Aber wir sollten uns zu keinem Zeitpunkt dazu versteigen, zu sagen: Wir haben keine Sünde mehr oder: wir haben da und da nicht gesün­digt. Und auch am Ende eines noch so beachtlichen Christenle­bens können wir nur das festellen, was Luther als Letztes noch auf einen Zettel schrieb: Wir sind Bettler, das ist wahr….“

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