Spastisch gelähmt


„… meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ – 2 Kor 12,9

(Predigt) „… Die Eheleute erzählten von ihrer inzwischen 35jährigen Tochter. Infolge einer Hirnhautentzün­dung war diese seit dem Kindesalter spastisch gelähmt. Ein schlimmes Schicksal. Ein erbärmliches Bild, das dieses Men­schenkind immer wieder abgibt. Aber, so sagten sie, erstaunli­cherweise habe ihre Tochter eine ganz besondere Glaubenskraft. Sie bete jeden Tag stundenlang für viele Menschen und werde kaum fertig damit. Von diesem Kind sei schon großer Segen ausgegangen. Wir waren uns dann rasch einig: dies dürfte ein einschlägiges Beispiel dafür sein, was der Apostel Paulus an die­ser Stelle meint, ein einschlägiges Beispiel für das, was Paulus als Antwort auf sein Gebet gesagt bekam: ‚Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.’

Wir haben das Starke gern, das Gesunde, das Großartige. Wir suchen das Starke und Großartige, wenn es um Persönlichkeiten geht, denen wir uns anvertrauen, denen wir folgen möchten. Wir suchen den Star, dem wir zujubeln und zu Füßen liegen können. Auch in religiösen Dingen? O ja, vielleicht sogar gerade da. Je glanzvoller einer auftritt, je mehr power er bringt, desto lieber hören wir auf ihn. Je mehr er zu erzählen weiß von abgehobenen Erfahrungen, desto mehr zieht er uns in seinen Bann.

Es ist nicht von vornherein falsch, das Starke zu suchen! Im Ge­genteil: Nach Paulus ist das Evangelium, auf griechisch, dynamis, eine geballte Ladung sozusagen. Paulus schrieb den Korinthern auch, er sei bei ihnen gewesen in Erweisung des Geistes und der Kraft. Und auch da steht wieder für Kraft dieses Wort dynamis, das auch in Dynamit steckt. Aber – und das ist nun das Beson­dere, das Bemerkenswerte an dieser Kraft, besser an dieser gött­lichen Gewalt des Evangeliums: Sie verbindet sich offenbar und geheimnisvollerweise gerne mit geschwächten Menschen; sie ver­schafft sich gerne Geltung mit geschlagenen Leuten; sie kommt besonders nachdrücklich und vollmächtig zur Wirkung durch Boten in gebrochener Gestalt. Frage: Wenn es tatsächlich so ist, könnte es damit zusammenhängen, dass der Urheber des Evange­liums selber in gebrochener Gestalt vor uns steht, er, der Ge­kreuzigte? …“

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