„… mitzuhelfen, dass das Evangelium von Jesus Christus … aller Welt verkündigt wird“


(Ordinationsgelübde von Pfarrern; Amtsversprechen von kirchlichen Mitarbeitern)

a) Das Evangelium von Jesus Christus

Es geht darum, Jesus Christus selber zu verkündigen, „ihn“, nicht etwas „von“ ihm. Gemeint ist das Evangelium, das von Jesus Christus handelt, ihn selber zum Inhalt, zum Gegenstand hat – seine Sendung, seinen Weg, seine Botschaft, vor allem seine Heilstat, die er mit seinem Leiden und Sterben vollbringt („Es ist vollbracht“, Joh 19,30).

Entscheidend ist, dass es in der christlichen Verkündigung zur Begegnung der Menschen mit Jesus kommt, und zwar mit Jesus, dem Gekreuzigten (vgl. Paulus 1. Kor 2,2).

An die Stelle dieser Begegnung mit Jesus Christus kann nicht die Betrachtung von Eigenschaften bzw. Handlungsweisen Gottes treten, seien diese auch noch so gewichtig und bedeutsam (Gnade, Barmherzigkeit …). Abgelöst von der Sendung Jesu besagen sie das Entscheidende nicht.

Die katholische Eucharistiefeier, die nach katholischem Verständnis zu jedem vollgültigen Gottesdienst gehört, gewährleistet diese allsonntägliche Begegnung mit dem sich für die Welt opfernden Christus (wobei nach katholischer Lehre allerdings die Kirche durch den geweihten Priester bei dieser vergegenwärtigten Opferung Christi mitwirkt; das ist hochproblematisch und abzulehnen).

Auch evangelische Predigtgottesdienste sollten m.E. selbstverständlich und in jedem Fall Jesus Christus und seine Sendung zum zentralen Inhalt haben. Dazu gehört m.E., dass von Jesus, von seinem Wort und Werk expressis verbis die Rede ist. Meiner Beobachtung nach kommen evangelische Predigtgottesdienste immer öfter ohne diesbezügliche Hinweise in der Verkündigung aus und werden damit zunehmend fragwürdiger.

Die häufige Verwendung alttestamentlicher Predigttexte nach der derzeit gültigen Perikopenordnung trägt leider das Ihre zu dieser degenerativen Entchristologisierung des evangelischen Gottesdienstes bei. Von Kreisen in der EKD, die z.B. sich für den jüdisch-christlichen Dialog einsetzen, wird sogar eine Vermehrung der alttestamentlichen Predigttexte in der Perikopenordnung gefordert. Christologische Auslegung alttestamentlicher Texte ist in der evangelischen Kirche mittlerweile geradezu verpönt; es heißt, man solle diese Texte innerhalb ihres ursprünglichen Aussage-Horizontes „stehen lassen“. In diesen ursprünglichen Aussagehorizont gehöre Jesus Christus nun einmal nicht hinein, behauptet man. Das halte ich für einen schwerwiegenden theologischen Irrtum.

Hebräische Welle und Christusvergessenheit“ – so charakterisierte ein zeitgenössischer Pfarrer die gegenwärtige kirchliche Lage.

Anmerkung: Man kann evangelische Gottesdienste in Württemberg erleben, in denen nicht einmal eine Evangelien-Lesung stattfindet (in der dann Jesus doch wenigstens liturgisch in Erscheinung treten würde): Der Predigt-Text kommt aus dem Alten Testament, die Schriftlesung ist ein Epistel-Abschnitt. So etwas ist in der katholischen oder auch anglikanischen Gottesdienst-Liturgie undenkbar, bislang sicherlich auch in der lutherischen.

Ein Aha-Erlebnis in diesem Zusammenhang war für mich ein Kontakt mit der lutherischen Kirche in Dänemark anlässlich einer Konferenz. Man sagte mir, in dieser Kirche werde in zweijährigem Turnus ausschließlich über Evangelien-Texte gepredigt.

Die Gottesdienst-Liturgie der anglikanischen Kirche (high-church) verläuft in Hinsicht der Lesungen gleich wie die römisch-katholische: Diese Liturgie beinhaltet generell drei Lesungen. Nach der Lesung eines alttestamentlichen und später eines Epistel-Textes durch Laien vom Lesepult aus wird „das Evangelium“, in Buch-Form in die Höhe gehoben, vom Priester in feierlicher Prozession mit kerzentragenden Klerikern durch die ganze Kirche nach vorne gebracht, worauf als Höhepunkt die dritte Lesung, die Lesung aus dem Evangelium, erfolgt. Die Gemeinde erhebt sich …

Wenn von katholischer Seite bestritten wird, dass die evangelische Kirche Kirche im Vollsinn ist, so hat diese Bestreitung z.B. auch in dem dargestellten Sachverhalt – Begegnung mit Jesus ist in evang. Gottesdiensten nicht (mehr) gewährleistet – aus meiner Sicht einen echten Grund.

Ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch die evang. Abendmahlsfeier nach meiner Beobachtung zunehmend christologisch entleert wird. Das Einzige, woran bis jetzt noch nicht gerührt wurde, sind die Einsetzungsworte (Matth 26,26ff par). Aber was darum herum gesprochen und gebetet wird, lässt den Bezug zum Eigentlichen des Geschehens oft vermissen – ganz zu schweigen von den fatalen Experimenten, die unter dem Titel „Feierabendmahl“ bei Kirchentagen und sonstwo angestellt wurden und werden; da sind dann nicht einmal mehr die Einsetzungsworte tabu (Kirchentag in Frankfurt, 2001: „… Wir lassen die Vorstellung, Fleisch zu essen und Blut zu trinken, endgültig hinter uns“; vgl. dazu Joh 6,54).

Glücklicherweise gibt es aber doch auch Ausnahmen. Einen Ausbildungsvikar hörte ich in einem Abendmahlsgottesdienst (2010) ansagen: „Jesus schenkt uns seinen Leib und sein Blut und beweist uns so seine Liebe“. Endlich einer, der es noch wagte, die Dinge beim Namen zu nennen.

b) … aller Welt verkündigt …

Die Vision in diesem Amtsversprechen ist also, dass „alle Welt“ das Evangelium von Jesus Christus zu hören bekommen soll. So entspricht es tatsächlich der Vision des auferstanden Christus, die sich in der Beauftragung, die er an seine Jünger richtet, ausdrückt: „ Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker …“ (Matth 28,18ff).
Was ist von dieser Vision übriggeblieben?

Die Kirche unserer Tage und hierzulande traut sich nicht mehr, von Mission zu sprechen bzw. sich Mission vorzunehmen. Sie schämt sich dessen, was im Zusammenhang mit missionarischen Aufbrüchen vergangener Zeiten problematisch war und lässt sich einreden, diese Aktivitäten seien insgesamt und von Grund auf vom Übel gewesen. Sie beklagt fortwährend den anhaltenden Mitgliederschwund, setzt zwischendurch sogar Mission wieder auf die Tagesordnung (EKD-Synode in Leipzig, 1999), meint damit aber doch nur ein Aufhalten des Mitgliederschwunds, nicht aber die Bemühung, das Evangelium von Jesus Christus zu Menschen zu bringen, die davon noch nichts wissen – beispielsweise zu den Millionen Moslems, die unter uns leben, beispielsweise (im Sinn biblischer Aussagen sogar vorrangig, s.o.) zu Juden.

Statt dessen wird derzeit landauf, landab in kirchlichen Verlautbarungen, in Gottesdiensten, in Gebeten eine andere Vision beschworen: Die Vision vom „Frieden unter den Religionen“ und viele versprechen sich Entscheidendes etwa von der „abrahamitischen Ökumene“. Beispielsweise lautete am 14.11.2010 in der Stuttgarter Stiftskirche beim Gottesdienst anlässlich „150 Jahre Schnellerschulen“ ein Abschnitt des Fürbittegebets folgendermaßen (dem Sinn nach zitiert): Wir bitten dich für die Führenden der Religionen, dass sie sich auf das Friedenspotenzial ihrer jeweiligen Tradition besinnen und es zur Geltung und Wirkung bringen.

Als Zwischenziel-Setzung mögen diese Vorstellungen ja durchaus in Frage kommen. Aber sie dürfen doch nicht an die Stelle der Vision des auferstandenen Christus treten. Jesus Christus will und soll überall Herr werden, zum Wohl und Heil der Menschen. Herr ist er aber nur, so weit es Gemeinde, Kirche unter den Menschen gibt – so hat es dem Sinn nach einst Prof. Ernst Käsemann, Tübingen in einer Vorlesung gesagt. Also muss es doch um Wachstum seiner Kirche und damit um Mission gehen.

Wenn Jesus Christus der Heiland der Welt ist, schulden wir der Welt das Evangelium und muss uns alles daran liegen, dass die Kirche weltweit wächst. Andernfalls sind wir dabei, die christliche Wahrheit zu verraten.

(Predigt, 1995) „… Am Samstag vor Ostern erschien in den Stuttgarter Nachrichten und also auch in der Nordstuttgarter Rundschau ein Leitartikel mit der Überschrift: ‚Christliches Abendland?’ Ausgangsfrage für den Artikel war, ob das christliche Europa dem vordringen­den und teilweise aggressiven Islam noch etwas entgegenzuset­zen hat, und dann, ob das moderne, säkularisierte d.h. weltförmig gewor­dene Europa überhaupt noch ein christlicher Kontinent ist. Der Verfasser trifft dazu einige Feststellungen unter Hinweis auf entsprechende demoskopische Untersuchungen. Ich zitiere einige Sätze: ‚Viele Katholiken und Protestanten haben es längst aufge­geben, öffentlich ihren Glauben zu bekennen.’ ‚Das demonstra­tive Bekenntnis und jeglicher missionarische Eifer sind dem modernen Christentum fremd geworden.’ ‚Während die Kirchen die Säkularisierung, also die Verweltlichung der Gesell­schaft beklagen, unterliegen sie selbst einem Säkularisierungsprozess, der ihren Kern bis zur Unkennt­lichkeit überlagert.’ ‚Sie sind in vielen Funktionen präsent, der Glaube wird jedoch unsichtbar.’ ‚Als soziale Dienstleister sind sie auch denen hochwillkommen, die sich von ihnen abgewandt haben. Beide Kirchen – die evangeli­sche mehr als die katholische – erliegen dabei der Versuchung, sich auf die gesellschaftlich akzeptierten Aufgaben zu konzentrie­ren und ihre eigentliche Botschaft zu ver­nachlässigen.’

Was sagen wir dazu? Oder: Was müssen wir dazu sagen? Ich denke, der Mann, der das geschrieben hat, hat ins Schwarze getroffen! Was ist bloß los mit uns? Was ist aus uns Christen, was ist aus unserem Glauben, was ist aus unserer Sendung geworden? …“

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