Der Prozess/die Prozesse Jesu


Mit großer Selbstverständlichkeit wird heute gerne behauptet, sogar von Theologen, die Römer hätten Jesus zu Tode gebracht – was natürlich auch bis zu einem gewissen Grad stimmt. Schließlich formuliert ja auch das Apostolicum „crucifixus sub Pontio Pilato“, wobei zu bedenken wäre, was „sub“ heißt. M.E. ist „sub“ als geschichtliche Angabe zu verstehen und will sagen, dass Jesus zur Zeit der Statthalterschaft des Pontius Pilatus in Palästina, eben „unter“ (nicht etwa „von“, oder „auf Befehl von“) Pontius Pilatus gekreuzigt wurde.

Tatsächlich tritt der Anteil der römischen Justiz am Tod Jesu nach dem Zeugnis der Evangelien weit zurück hinter dem Hauptanteil, der vorausgehend der jüdischen Gerichtsbarkeit, dem Hohen Rat, zuzurechnen ist. Die Evangelien berichten von Anfang an von der Gegnerschaft und Feindschaft, die Jesus bei den Frommen und bei den Führenden der Judenschaft auf sich zieht, und die sich schon in einem frühen Stadium zu der Absicht verfestigt, Jesus zu töten (Matth 12,14; Joh 5,16). Im Passionsteil, dem Kernbestand der Jesusüberlieferung in den Evangelien, z.B. Matth 26f, ist es der Hohe Rat, der schließlich den Plan zur Tötung fasst, den Dienst des Verräters dazu einsetzt, Jesus durch seine (nicht etwa römische!) Kriegsknechte verhaften lässt und ihm den Prozess macht. Es ist der Hohe Rat, der Jesus unter Anrufung des lebendigen Gottes zu der Selbstaussage herausfordert, ob er sich als „der Christus, der Sohn Gottes“ bekenne. Es ist der Hohe Rat, der, als Jesus es tatsächlich tut, Gotteslästerung konstatiert und Jesus deswegen zum Tod verurteilt. Es ist der Hohe Rat, dessen Mitglieder den Verurteilten anschließend schmähen und ihr böses Spiel mit ihm treiben. Vgl. die Pfingstpredigt des Petrus an die Juden in Jerusalem: „… diesen Mann … habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und getötet“ (Apg 2,23).

Es sind also die religiösen Instanzen, die sich gegen Jesus stellen, ihn aus religiösen Gründen aus der Welt schaffen wollen, wegen eines religiösen Vergehens das Todesurteil über ihn sprechen und ihn an die weltliche (heidnische) Obrigkeit ausliefern. Nebenbei: Mit Politik hat das alles erkennbar nichts zu tun! Demgegenüber versucht der römische Statthalter Pilatus, der als weltliche Obrigkeit für die Bestätigung und Vollstreckung der Todesurteile des Hohen Rats zuständig ist, alles, um eine Hinrichtung Jesu zu verhindern, kann er doch keinerlei (politisch relevante) Schuld bei dem Angeklagten finden. Aber die Ankläger wollen dann sogar lieber einen politischen Gefangenen, an dessen Händen nun tatsächlich Blut klebt, freigelassen haben als Jesus. Am Ende beugt sich Pilatus dem Druck, den die jüdischen Ankläger aufgebaut haben, lässt Barrabas frei und Jesus kreuzigen.

Dieser Anteil der jüdischen Justiz am Tod Jesu wird heute gerne unterschlagen, aus durchsichtigen Gründen: Die jüdische Seite soll geschont werden. Diese heutige Tendenz hat dazu geführt, dass man auch wissenschaftlich nachzuweisen versucht, Jesus sei in Wirklichkeit ein Opfer der römischen Justiz geworden. Die Überlieferung, die sich in den Evangelien und in der Apostelgeschichte niedergeschlagen hat, sei – so wird dann behauptet – von der Absicht geprägt, den römischen Staat zu entlasten, weil sich die entstehende christliche Gemeinde mit diesem Staat arrangieren musste und wollte. Statt dessen habe man dann den Juden die Last zugeschoben und die Überlieferung entsprechend (um)gestaltet.

Ich kann dazu nur sagen: Wenn es so mit der Glaubwürdigkeit der biblischen Überlieferungen steht, die den christlichen Glauben essentiell begründen, höre ich lieber heute als morgen auf, Christ zu sein.

Ich nehme vielmehr wahr, dass auch noch heute vom (orthodoxen) Judentum mehr oder weniger massiv Widerspruch und auch Aggression gegen Jesus und seinen Messias-Anspruch ausgehen, was vor allem die „messianischen Juden“ in Israel zu spüren bekommen, und dass von Seiten des Judentums dann auch gerne Allianzen eingegangen werden z.B. mit christlichen Vertretern der historischen Kritik, die etwa behaupten, der historische Jesus habe sich selbst nie als Messias oder gar als Sohn Gottes bezeichnet und der dogmatische Christus sei erst mit Paulus aufgekommen usw.

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